Begegnung zwischen Sylvie Doizelet, Schriftstellerin und Übersetzerin, und François- Marie Deyrolle, Herausgeber des „atélier contemporain“ (aktuelleWerkstatt), anlässlich der Veröffentlichung in französischer Sprache des Tagebuches von Käthe Kollwitz: „Tagebuch von 1908 – 1943“. Präsentation Sylvie Doizelet, Übersetzung Micheline Doizelet und Sylvie Doizelet)
Veröffentlichung am 9.März 2018
http://www.editionslateliercontemporain.net/collections/ecrits-d-artistes/article/journal-1908-1943
2017 wurde der 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz gefeiert.
In Frankreich, wo Käthe Kollwitz ungerechterweise einem breiten Publikum unbekannt ist, hätten wir beinahe diese Gelegenheit verpasst.
Zum Glück werden ihre Verdienste endlich diesseits des Rheins gewürdigt, dank Ihrer Initiative, François-Marie Deyrolle, das Tagebuch dieser groβen Künstlerin zu veröffentlichen. Ein Tagebuch, von 1908 bis 1943 geschrieben, vor dem extrem tragischen Hintergrund der deutschen und europäischen Geschichte. Es hinterlässt uns ein ergreifendes Zeugnis des Lebens und Werkes von Käthe Kollwitz und des tragischen Schicksals des deutschen Proletariats des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jhdt.

François-Marie Deyrolle (Crédit artiste Ann Loubert, œuvre sur papier – aquarelle et crayon – 2013)
1. François-Marie Deyrolle, können Sie uns Ihren Verlag « L’Atelier Contemporain » vorstellen und uns die Entstehungsgeschichte dieses Veröffentlichungsprojektes desTagebuches von Käthe Kollwitz in französischer Sprache geben ?
Der Name des Verlages ist eine Würdigung des gleichnamigen Buches von Francis Ponge, das alle seine Kunstessais vereinte. Der Verlag steht also unter dem Zeichen von Poesie und Schriftstücken über Kunst. Er geht vom Verhältnis Text-Bild aus und von Fragestellungen zur Aussage der Kunst. Drei Hauptsammlungen gliedern zur Zeit mein Wirkungsfeld auf dem Gebiet der ‘Schönen Künste » :
Eine Sammlung von essais. Denn sie geben mittels Sprachformen eine innewohnende Erfahrung der Werke wieder. Die Schrifsteller – selbst Kunstschaffende – vermögen sich vielleicht am besten zur Kunst zu äussern.
Diese Sammlung, die sich knapp an der akademischen Kritik vorbeibewegt, vereint die Sicht von Autoren, die sich mit anderen Sprachformen eng verbunden fühlen.
Ene Sammlung von Schrifstücken, von Künstlern verfasst.
Nach der ersten Skepsis wird die Diskussion über Kunst den Sprachprofessionnellen überlassen.
Wir vergessen fast, dass die Künstler die ersten sind, die die praktische Umsetzung ihrer Kunst ‘denken’, dass Malerei und Skulptur ‘denken’.
Betrachtungen, Äusserungen, Anmerkungen, Tagebücher, Briefwechsel oder Gespräche : « écrits d’artistes » beabsichtigt diesen reichen Bestand, der oft ignoriert wird, zu erneuern, um der Stimme der Kunstschaffenden Gehör zu verschaffen.
Und auch eine Sammlung, die vom Et-Zeichen « & » symbolisiert wird – Kameradschaft, Dialog, gegenseitige Beeinflussung, Gemeinsamkeit oder Sympathie : nicht selten gehen ein Schrifsteller und ein Künstler gemeinsame Wege, die sich kreuzen um besser weiterführen zu können.
Durch das Zusammenführen zweier Werke und zweier Individuen in Form von Gesprächen, Essais oder Briefwechsel, lässt jeder Titel der Sammlung « & » fruchtbare Bande zu Tage kommen, die bald verwandte, bald unähnliche künstlerische Ausdrucksweisen erzeugen.
Sylvie Doizelet war es, die mir diese Übersetzung vorschlug, die sofort akzeptiert wurde. Ihr Werk lernte ich kennen, als ich in Strasbourg lebte (mehr darüber später).
Es ist so faszinierend und fesselnd aufgrund des Panoramas der sozialen und politischen Geschichte Deutschlands zwischen den zwei Weltkriegen, und auch ein so ergreifendes Zeugnis dieser Zeit. Diese Käthe Kollwitz war ein schöner Mensch. Grosszügig, bescheiden, treu ergeben, leidenschaftlich.
2. F-M.D., Können Sie uns einige Worte über die Käthe Kollwitz-Sammlung des Museums modener und zeitgenössischer Kunst in Strasbourg sagen, dem einzigen öffentlichen Museums Frankreichs, das Werke dieser Künstlerin besitzt ?
Strasbourg und das Elsass, waren, wie man weiss, Deutsch von 1870 bis 1918 (und dann von 1940 bis 1945). Annektiertes Gebiet : diese Zeitspanne der Geschichte war tragisch, aber auch sehr bereichernd : Wilhelm II wollte in der Tat aus Strasbourg eine beispielhafte Stadt machen, ein Beispiel seines Imperiums – kolossale finanzielle Mittel wurden zur Erschliessung verschiedener Stadtviertel zur Verfügung gestellt, wie die Neustadt, eine Universität ins Leben gerufen, eine Kunstschule, ein Museum, usw. Wilhelm Bode, Genraldirektor der staatlichen Kunstsammlungen, der einige Museen in Berlin gegründet hat, wird nach Strasbourg berufen und vergrössert die Sammlungen beträchtlich, seien es die alter oder die zeitgenössischer Kunst : zu seinen Lebzeiten wurden Zeichnungen und Stiche von Künstlern wie Max Klinger, Max Beckmann oder Käthe Kollwitz erworben. Heute werden etwa 30 Werke dort aufbewahrt, von welchen ein großer Anteil 1907 aber auch vor kurzem gekauft wurde, dies dank der Großzügigkeit eines hiesigen Sammlers, Jean Louis Mandel.

Sylvie Doizelet (c C. Hélie – Editions Gallimard).
3. Sylvie Doizelet, Sie sind Schriftstellerin und Übersetzerin, Autorin mehrerer Romane.
Ich habe meinen ersten Roman („Chercher sa demeure“) 1992 veröffentlicht und fand dann sehr schnell Gefallen an Portraits, über die Sammlung ‘L’un et l’autre’ (Gallimard). Ich habe mit Sylvia Plath angefangen („la terre des morts est lointaine“, 1996). Ich wechsle gerne ab : ein Roman, ein Portrait, ein Roman, und ich habe entdeckt, dass ich am liebsten Künstlerportraits schreibe, wie ich es von Alfred Kubin, Henry Moore („le voyageur attardé“) und Ernst Barlach („le temps qu’il fait“) gemacht habe.
4. Wie sind Sie Käthe Kollwitz begegnet?
Ich arbeitete an dem deutschen Künstler Ernst Barlach – den ich beim Schreiben über Henry Moore kennenlernte – und habe daher das Geburtshaus Barlachs in Wedel bei Hamburg besichtigt, das ein Museum geworden ist. In diesem stiess ich auf die Ausstellung : « Barlach und Kollwitz ». Das war eine Offenbarung. Sofort wollte ich ihr ein Buch widmen. Ich erfuhr, dass sie ein langes Tagebuch geschrieben hatte. Ich fand es erschütternd und faszinierend, und mir schien es notwendig, es einem breiten Publikum nahezubringen.
Ich lebte in Flandern, nicht weit von Diksmuide und von Vladslo – dem deutschen Friedhof, auf dem sich ihr symbolträchtigstes Werk befindet : die doppelte Statue des « trauernden Elternpaares ». An diesem Ort zu wohnen, der für sie so sehr von Bedeutung war, dem Ort, an dem ihr Sohn – und so viele andere – sein Leben verlor und begraben wurde, hat mir sehr bei meiner Arbeit geholfen.
5. Sie haben nicht das ganze Tagebuch von etwa 1000 Seiten übersetzt. Wie haben Sie die Auszüge ausgewählt, die Sie für diese französische Ausgabe übersetzt haben ?
Tausend kleingedruckte Seiten ! Viel mehr als tausend, im Grunde genommen !
Da Käthe Kollwitz bis zu diesem Tage in Frankreich unbekannt war (oder fast), wäre die Gesamtfassung zu komplex gewesen, denke ich. Wichtig erschien es mir, mich auf drei Achsen zu konzentrieren : das Werk/die Trauer/das militante Leben, alle drei untrennbar verbunden.Ich habe (wir haben) die Einträge gestrichen, die die Nachbarschaft Käthe Kollwitzes betrafen (Käthe Kollwitz achtete sehr auf ihren Freundes-und Bekanntenkreis) die Familie (außer der Mitglieder, die zu Hause lebten), zahlreiche Anspielungen auf Werke (musikalische, literarische, bildhafte), die in Frankreich wenig bekannt, ja nicht einmal übersetzt sind.Ihr Leben als Künstlerin, als Frau und ‘Militante’, (auch, wenn sie es immer abstritt, eine zu sein) ist so reichhaltig, dass es unmöglich ist, keine Auswahl zu treffen, wenn man von ihr sprechen will.
6. François-Marie Deyrolle, haben Sie vor, andere Werke über Käthe Kollwitz zu übersetzen und zu veröffentlichen ?
A priori, nein. Aber ich werde das Leben der Künstler jenseits des Rheins erforschen : zahlreiche Texte von George Grosz, Ludwig Meidner, Oskar Kokoschka, Emil Nolde usw. sind dem französischen Publikum noch immer unbekannt..
7. F-M Deyrolle, wie erklären Sie es, dass eine so bedeutende, deutsche Künstlerin des XX. Jhdts in Frankreich so wenig bekannt ist, um nicht zu sagen, unbekannt ?
Die deutsch-französischen Beziehungen waren bis vor nicht allzulanger Zeit angespannt : der Krieg von 1870, von 1914-18, dann der von 1939-45 – das ist viel in einer kurzen Zeitspanne…….Ein dummes Gefühl « anti-boches » bewirkte, dass französische Museen deutsche Kunst lange Zeit verschmähten. Unsere Sammlungen sind in der Tat sehr spärlich bestückt. Diesseits des Rheins kennt man nur einige Figuren. Daher bleiben sehr grosse Künstler verkannt : Nagel, Radziwill, Barlach, Meidner, Schlichter, usw. um nur diese Name zu zitieren. Von Félix Nussbaum spricht man erst seit der Ausstellung des « musée d’art et d’histoire juif » von Paris vor 4-5 Jahren, oder auch von Paula Moderssohn Becker, erst seit zwei Jahren, dank der Ausstellung im MAMVP. Hoffen wir, dass es bald Käthe Kollwitz ist, von der gesprochen wird !
8. F-M Deyrolle, für wann eine grosse Käthe-Kollwitz Ausstellung in Frankreich ? Wie kann man das erreichen ?
Die Anerkennung des Werkes von Käthe Kollwitz wird kommen – ihr Werk ist von solchem .Rang, dass es nicht anders sein kann. – es würde genügen, wenn sich ein schlauer Museumskustode das Projekt aneignet : der Erfolg wäre gesichert, das Werk kann einfach angegangen und von einem grossen Publikum geschätzt werden. Die Durchführung ist leicht : das Käthe Kollwitz Museum in Köln besitzt bedeutende Sammlungen und die Kustoden, die sie verwalten, würden nur zu gerne durch Leihgaben an solch einem Projekt teilnehmen.
9. F-MD. Welchen zeitgenössischen Künstlern würden Sie gerne die Werke von Käthe Kollwitz gegenüberstellen ?
Es fällt mir schwer, Ihnen zu antworten ! Auf dem Gebiet der Grafik gibt es wenige Künstler, die sich so sehr einer « sozialen », « engagierten » Kunst verpflichten.
Ich ziehe es vor, Künstlerinnen zu erwähnen, die ein « verlgeichbares » Werk entwickelt haben, in Bezug auf die « Energie » :
Frédérique Loutz (http://galeriepapillonparis.com/?oeuvre/Fineisen), Maike Freess (http://www.maikefreess.com/), Aurélie de Heinzelin (http://aureliedeheinzelin.ultra- book.com/).
Formal ist Ihr Werk weit entfernt, aber es würde mich nicht wundern, wenn die Arbeit von Käthe Kollwitz in Ihnen Resonanz findet.
Traduit du français par Sabine LEUPOLD